ZUM SCHUTZ VOR VERSTORBENEN: KYPRISCHE UND BÖOTISCHE IDOLE


Das 1912 durch Botho Graef von dem griechischen Händler Ch. Psychas erworbene, handgeformte Idol besteht aus einer etwa 1 cm starken Tonplatte in Form zweier unterschiedlich breiter, ineinander übergehender Rechtecke, die eine anthropomorphe Gestalt darstellen. Das untere Rechteck ist breiter und bildet den Rumpf, das obere, kleinere dagegen den Hals mit Kopf. Die Nase wird durch eine kleine Erhebung, die Ohren durch zwei durchbohrte Ausbuchtungen markiert, während die Augen durch zwei eingetiefte Punkte angegeben sind. Weitere Details, wie Haare, Halsketten, Gewandsäume sowie Arme und Hände sind - in stilisierter Form - durch Ritzungen (Linien, Zickzack-Bänder) hervorgehoben und waren wohl ursprünglich mit weißer Farbe gefüllt.  Idole dieses Typs gibt es beinahe ausschließlich in weiblicher Gestalt. Sie stammen meist aus Gräbern und sollten wohl den Verstorbenen begleiten oder beschützen. Sie leiten sich von Vorbildern aus dem anatolischen Raum her und kommen auf Zypern seit der frühen Bronzezeit vor.
Lit.: V. Paul-Zinserling, Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Jena 1981) 19 f. Abb. 2; V. Karageorghis, The Coroplastic of Ancient Cyprus I. Chalcolithic - Late Cypriote I (Nikosia 1991) 63 f. BC 15; A. Geyer, Mediterrane Kunstlandschaften in der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Ausstellungskatalog),  Jenaer Hefte zur Klassischen Archäologie 3 (Jena 1999) 112 Nr. 29 (Y. Schmuhl); V. Paul-Zinserling, Die Terrakotten der der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jenaer Hefte zur Klassischen Archäologie 4 (Jena 2001) 75 f. Nr. 60.

Der Körper des zweiten Idols, das eine Mutter mit Kind zeigt, wird hier, im Unterschied zu früheren kyprischen Idolen, rundplastisch wiedergegeben. Die mütterlichen Formen des Körpers zeigen sich vor allem in dem sehr ausladenden Becken und dem durch schräge Schraffur besonders betonten, überdimensional großen Schamdreieck. Das breite Becken geht übergangslos in die sich nach unten stark verjüngenden Beine über; die Knie sind durch plastisch aufgesetzte Kreise betont, während die Füße nur durch eine einfache Ritzlinie gekennzeichnet sind. Die spitzen Brüste stehen deutlich vom Körper ab, zwischen ihnen verlaufen zwei sich kreuzende Linien. Das Kind wird im linken der beiden schlaufenartig geformten Arme gehalten; es greift der Mutter mit einer Hand an die linke Brust und verschmilzt im unteren Teil ganz mit dem Körper der Mutter. Der vogelartige Kopf mit Ohrringen, der aufgrund von Vergleichen anzunehmen ist, ist nicht erhalten. Derartige Idole entstanden unter babylonischem und nordsyrischen Einfluss und wurden meist als Fruchtbarkeitsgöttin - möglicherweise Ishtar oder Astarte - gedeutet. Sie fanden Verwendung als Grabbeigabe oder auch als Votive.
Lit.: P. Åström, The Swedish Cyprus Expedition IV 1 D (Lund 1972) 513 f. Nr. 3; V. Paul-Zinserling, Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Jena 1981) 20 f. Abb. 3; V. Karageorghis, The Coroplastic of Ancient Cyprus II. Late Cypriote II - Cypro-geometric III (Nikosia 1993) 7 Nr. 8; V. Paul-Zinserling, Die Terrakotten der der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jenaer Hefte zur Klassischen Archäologie 4 (Jena 2001) 76 f. Nr. 61.

Der Körper des dritten Idols besteht aus einem flachen, brettartigen, leicht nach hinten gebogenen Rumpf, der nach unten zu einem ovalen Standring ausschwingt und, nach oben schmaler werdend, in einen Kopf ausläuft, der lediglich durch eine große, dreiecksartig nach vorn gezogene Nase und zwei durch einfache Punkte aufgemalte Augen gekennzeichnet ist. Auf dem Kopf trägt die Figur einen sich konisch nach oben erweiternden Polos mit Tupfenbemalung, der auf der Stirn in eine große, aufgerollte Volute übergeht. Zwei plastisch aufgesetzte, breite Haarsträhnen fallen rechts und links unter dem Polos hinab über die Schultern, eine dritte hängt über den Rücken. Die Arme sind lediglich als Stümpfe ausgebildet. In der Mitte des Körpers ist ein dunkles, umlaufendes Band aufgemalt, an das auf der Vorderseite zwei senkrechte, mit Gittermuster gefüllte Ornamentbänder ansetzen. In Höhe des "Halses" ist eine Kette mit Anhänger aufgemalt, der als Blüte, Mohnkapsel oder Granatapfel gedeutet wird und auf den Fruchtbarkeitsaspekt oder den chtonischen Charakter der Figur anspielen könnte. Die aufgrund von Fundkontexten sicher ins 6. Jh.v.Chr. zu datierenden, bewusst altertümlichen Idole greifen zurück auf die stilisierten Formen der geometrischen Epoche und sind in großer Zahl in den Gräbern Böotiens gefunden worden. Vermutlich stellen sie Göttinnen (Demeter, Hera?) dar, die man den Verstorbenen zu Schutz und Beistand mit ins Grab legte. Lit.: L. Alscher, Griechische Plastik I (Berlin 1954) Abb. 43; E. Paul, Die böotischen Brettidole, Wissenschaftliche Zeitschrift der Karl-Marx-Universität Leipzig 8/1, 1958/59, 185 Abb.18; V. Paul-Zinserling, Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Jena 1981) 26 f. Abb.9; V. Paul-Zinserling, Die Terrakotten der der Sammlung Antiker Kleinkunst der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jenaer Hefte zur Klassischen Archäologie 4 (Jena 2001) 52 f. Nr. 36.

Diese Objekte sind vom 28. Januar bis zum 30. April 2011 in der Ausstellung "Götter, Götzen und Idole" im Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg zu sehen.

Brettförmiges Idol, Frühkyprisch III (2000-1900 v.Chr., Red Polished Ware)
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sammlung Antiker Kleinkunst, Inv. Nr. T 1.
H 23,5 cm. Feiner, ockerfarbener, hartgebrannter Ton, rotbrauner polierter Überzug, linke Schulter abgebrochen, sonst intakt, kleinere Ausplatzungen und Bestoßungen des Überzugs.

Mutteridol (Kourotophos), Spätkyprisch II-III (1450-1050 v.Chr., "Base-Ring"-Ware Figurines)
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sammlung Antiker Kleinkunst, Inv. Nr. T  2.
H 15,0 cm. Hellrötlicher bis ockerfarbener, feiner, hartgebrannter Ton, über einen Holzkern aus drei Teilen geformt, Kind und Arme handgeformt, Kopf der Mutter fehlt, sonst intakt, Spuren heller Engobe.

Brettidol (Papas), Böotisch, Mitte 6. Jh. v.Chr.
Friedrich-Schiller-Universität Jena, Sammlung Antiker Kleinkunst, Inv. Nr. T  13.
H 18,0 cm. Ockerfarbener, feiner, hartgebrannter Ton, handgeformt, hellcremefarbener Überzug mit dunkelbrauner, und hellroter Bemalung (Glanzton), intakt, Bemalung stellenweise abgeblättert.

Dennis Graen