VERHALTENSREGELN ZUR ZEIT DER LETZTEN PEST IN THÜRINGEN


Verbot öffentlicher Vergnügungen, Quarantäne, Abschottung, Bevorratung - dies schienen Bedrängnisse aus längst überwunden geglaubten alten Zeiten zu sein. Und doch sind sie in diesen Wochen der Corona-Pandemie unvorhergesehen ganz gegenwärtig geworden. Aus aktuellem Anlass ist das Objekt des Monats ein schmaler Druck, der in einer vergleichbar scheinenden, aber doch ungleich grausameren Notlage vor rund 340 Jahren entstand.

Seit dem Altertum wurde Europa in größeren oder kleineren zeitlichen Abständen immer wieder von der Pest heimgesucht. Auch Thüringen war seit der großen mittelalterlichen Epidemie des 14. Jahrhunderts mehrmals betroffen. Letztmals litt Thüringen in den Jahren von 1680 bis 1684 unter der Pest. Sie war 1679 in Konstantinopel ausgebrochen und erfasste von dort fast ganz Europa. Noch im selben Jahr erreichte sie Sachsen. In Dresden waren mehr als 5.000, in Leipzig über 3.200 Tote zu beklagen. In Thüringen war 1680 zuerst die Region um Camburg und Eisenberg betroffen, dann die Weimarer Gegend. Jena und andere Orte im Osten und Süden blieben verschont, vielleicht weil sie sich erfolgreich nach außen abschotten konnten. Am heftigsten wütete die Pest ab 1682 in Mühlhausen, wo sie über 8.000 Menschenleben forderte, und in Erfurt, wo über 9.400 Menschen und damit über die Hälfte der damals rund 16.300 Einwohner starben. Es verstrichen danach über 100 Jahre, bis Erfurt wieder die Einwohnerzahl vor dieser letzten Pest erreichte. Anfang 1684 war die Epidemie in Thüringen überstanden. Von den späteren Pestwellen erreichte keine mehr Thüringen.

Nicht lange vor dem Ende der damaligen Pestepidemie druckte in Jena der Hofbuchdrucker Johann David Werther (1656-1717) einen in Eisenach am 1. August 1683 ausgestellten Erlass von Kurfürst Johann Georg III. von Sachsen (1647-1691), den dieser in Vormundschaft von Johann Wilhelm, dem späteren Herzog von Sachsen-Eisenach (1666-1729), proklamierte. Der acht Seiten umfassende Druck trägt den Titel "Wiederhohlte Anordnung / Was nach Anleitung der 1680. publicirten Pest=Ordnung / bey ietzigen gefährlichen Läufften / von denen Obrigkeiten und Gerichten aufn Lande und in Städten in Acht zu nehmen". Die Besonderheit des mit 13 weiteren Amtsschriften der Zeit zusammengebundenen Exemplars der ThULB Jena besteht darin, dass es am Schluss die eigenhändige Unterschrift des Kurfürsten trägt sowie Spuren eines Wachssiegels und den Rest eines in das Blatt eingeknoteten Bindfadens aufweist.

Der Erlass bezieht sich auf Pestvorschriften, die zu Beginn der Epidemie in Thüringen 1680 verkündet worden waren. Wie es im Text heißt, war die neuerliche Anordnung vonnöten, weil in Buttelstedt nördlich von Weimar bei Ausbruch der Pest "vorhergegangenen Befehlen / bevorab der emanirten Pest=Ordnung am wenigsten nachgelebet worden / dadurch nicht geringe Confusion erwachsen / und fast alle Nothwendigkeiten an gedachtem Orte entstehen wollen." Unter diesem Eindruck ermahnt der Kurfürst die Untertanen Johann Wilhelms, "in bußfertiger Betrachtung ernstlich zu erwegen / wie nahe auch ihnen die Göttliche Zorn=Ruthe seyn könte" und also die Anordnungen zu befolgen, die in dem Erlass aufgeführt werden und deren Missachtung zur Bestrafung führe.

Aufgelistet sind zwölf Regeln, beginnend mit einem Versammlungsverbot: Es seien in "Städten und Dörffern verdächtige und leichtfertige Täntze oder andere Zusammenkünffte gäntzlich zu verbieten / und da sich unzüchtige Weibes=Personen unter ihren Gerichten befänden / alsobald fortzuschaffen." Weiter geht es mit Hygieneregeln: Bäche und Brunnen sollen sauber gehalten und totes Getier und anderer Unrat nicht auf die Straße geworfen werden. Zum Zweck der Abschottung dürfen Fremde ohne Benachrichtigung der Obrigkeit nicht beherbergt werden, und bei der Einfuhr von Gütern ist auf Sorgsamkeit zu achten. Die Pässe von Reisenden und Fuhrleuten sollen genau geprüft sowie "Auswärtige Bettler und ander Herrenloses Gesindlein mit einer Gabe" abgewimmelt und vertrieben werden. "Von denen Præservativen, Pest=Artzneyen und Labsalen / auf Einrath der Medicorum" sind ausreichende Mengen zu kaufen und an die Hauswirte zu verteilen. Eine Bevorratung mit dem Nötigsten ist erwünscht, die Bürger mögen sich "mit Korn / Saltz / Würtze / Holtz / und andern unentbehrlichen Bedürffniß / wenigstens auf ein halb Jahr / versorgen." Auch sollen in allen Städten und Dörfern die Menschen Geld sammeln, "damit sie im Fall der Noth einander beyspringen können." Wenn irgendwo Pest-Symptome auftreten, dürfen sie keinesfalls geheim gehalten werden, sondern müssen Ärzten und im Fall der Gewissheit auch der Regierung unverzüglich angezeigt werden. "Wärterinnen" sind in diesem Zusammenhang "gegen ein leidliches Wochen=Lohn" anzustellen. Am Schluss folgt ein schöner Appell an das Miteinander bei Quarantänefällen: Die Menschen sollen "denen verschlossenen Krancken und Gesunden Speise und Artzney zubringen / auch sonst herum gehen / und auf die Häuser fleissig Acht haben".

Signatur: 4 Jur.XVII,82(7)

Ansprechpartner: Dr. Joachim Ott

LITERATUR:
Peter Lange / Thomas Nitz: Die letzte Pest in Thüringen (1681-1684), in: Blätter des Vereins für Thüringische Geschichte e.V. 13 (2003), H. 2, S. 6-13 (online: https://www.via-regia.org/bibliothek/pdf/letzte_Pest_in_Thueringen.pdf)